Bei gesunden Körperzellen ist das Wachstum (die Zellteilung) streng kontrolliert. Ein charakteristisches Kennzeichen von Krebszellen dagegen ist ihr unkontrolliertes Wachstum. Um ein Wachstumssignal an eine Zelle zu geben, lagern sich Botenstoffe, die so genannten Wachstumsfaktoren an spezielle Bindungsstellen (Rezeptoren) auf der Zelloberfläche an. Wird der Rezeptor durch den Botenstoff aktiviert, wird eine Signalkette ins Zellinnere in Gang gesetzt, die schließlich die Zellteilung anregt. Krebsforscher versuchen, mit geeigneten Wirkstoffen die Rezeptoren für Wachstumsbotenstoffe auf Krebszellen oder Übertragungsstellen in den anschließenden Signalketten zu blockieren. Damit wäre der Krebs daran gehindert, weiterzuwachsen.
Epidermaler Wachstumsfaktor (EGF)
Ein wichtiger Wachstumsfaktor bei Darmkrebs ist der so genannte Epidermale Wachstumsfaktor (engl.: Epidermal Growth Factor, EGF). Die Bindungsstelle für den EGF, den EGF-Rezeptor, findet man bei bis zu 70 Prozent aller Darmkrebspatienten im erhöhten Maße auf der Oberfläche der Tumorzellen. Dies deutet darauf hin, dass die EGF-Rezeptoren bei Entstehung und Wachstum von Darmkrebs eine wichtige Rolle spielen. Blockiert man nun den Rezeptor, kann sich der EGF nicht mehr anlagern, sein Wachstumssignal würde die Krebszellen nicht mehr erreichen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Tumorzellen des Patienten auch wirklich den EGF-Rezeptor tragen.
Als Rezeptorblocker benutzt man u.a. monoklonale Antikörper. Diese Antikörper sind Eiweißstoffe, die im Labor so hergestellt werden, dass sie in ihrer Form genau zu der Bindungsstelle passen und sich fest an sie binden können. Der Rezeptor wird dadurch besetzt und bleibt für den Wachstumsfaktor blockiert. Laboruntersuchungen mit Darmkrebs-zellen zeigen, dass eine solche Rezeptorblockade die Krebszellen sogar absterben lassen kann, quasi eine Art zelluläres Selbstmordprogramm auslöst.
Einsatz bei Darmkrebs
In Deutschland sind seit Mitte 2004 bzw. Ende 2007 die monoklonalen Antikörper Cetuximab (Handelsname Erbitux®) und Panitumumab (Handelsname Vectibix®) zur Behandlung bei fortgeschrittenem (metastasiertem) Darmkrebs zugelassen. Es handelt sich um Wirkstoffe, die sich gegen den Rezeptor des EGF-Wachstumsfaktors auf Darmkrebszellen richten. Panitumumab ist ein "humanisierter" Antikörper: Er besteht vollständig aus menschlichen Eiweißstrukturen, was seine Verträglichkeit verbessert.
Cetuximab und Panitumumab werden meist mit einer Chemotherapie kombiniert, können jedoch auch als Einzelsubstanz gegeben werden.
In Studien verbesserte der Zusatz von Cetuximab oder Panitumumab zur Chemotherapie das Überleben der Patienten (im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie). Beide Antikörper wirken nur bei Patienten, in deren Tumor die Gene der RAS-Genfamilie nicht verändert (mutiert) sind. Man spricht auch davon, dass die RAS-Gene im "Wildtyp" vorliegen. Cetuximab und Panitumumab sind daher auch nur für Patienten mit RAS-Wildtyp zugelassen. Etwa die Hälfte der Patienten mit metastasiertem Darmkrebs haben RAS-Wildtyp-Tumoren. Dieses Merkmal wird im Labor vorzugsweise an Tumorgewebe, gegebenfalls auch anhand einer Blutprobe nachgewiesen. Durch die RAS-Mutationsanalyse vor Therapiebeginn können demnach gezielt jene Patienten ausgewählt werden, die von einer Behandlung mit Hemmstoffen des EGF-Rezeptors profitieren.
Neueren Erkenntnissen zufolge spielt für die Wirksamkeit von Cetuximab und Panitumumab auch die Lages des Tumors eine Rolle und sollte in die Therapieentscheidung miteinbezogen werden: Studien zeigten, dass die Hinzunahme der Antikörper zur Chemotherapie bei Tumoren im rechtsseitigen Dickdarm - zumindest in der Erstlinientherapie - den Patienten keinen Vorteil bringt.
Hemmung des BRAF-Signalwegs
Bei etwa 10 % der Darmkrebs-Patienten ist im Tumor das so genannte BRAF-Gen verändert (mutiert). Dies führt zu einem gesteigerten Tumorwachstum aufgrund der Aktivierung des BRAF-Signalwegs.
Ein Therapieansatz, der derzeit untersucht wird, ist die Wachstums-Blockade mittels Hemmstoffen dieses Signalwegs, so genannten BRAF-Hemmern (z.B. Vemurafenib). Diese werden mit weiteren zielgerichteten Substanzen kombiniert, so dass mehrere Zielstrukturen in den Tumorzellen gleichzeitig genutzt werden (Multitargetingkonzept). Kombinationspartner ist in der Regel ein Hemmstoff des EGF-Rezeptors (z.B. Cetuximab), gegebenenfalls kommt ein weiterer Wirkstoff hinzu - meist ein so genannter MEK-Inhibitor oder ein PI3K-Inhibitor. Erste Ergebnisse aus entsprechenden klinischen Studien sind vielversprechend. Für Patienten mit BRAF-mutierten Tumoren kann ein solcher Therapieansatz in der zweiten Therapielinie in Betracht gezogen werden, das heisst nachdem die Erkrankung unter einer Chemotherapie fortgeschritten ist. Wenn möglich sollte die Behandlung im Rahmen einer klinischen Studie stattfinden.