Die häufigste Form des erblichen Darmkrebs ist der Erbliche Nicht- polypöse Darmkrebs (HNPCC = engl.: Hereditary Non-Polyposis Colorectal Cancer, auch Lynch-Syndrom). Etwa 3 Prozent aller Darmkrebsfälle sind auf HNPCC zurückzuführen. Die dafür verantwortlichen Defekte in den Erbanlagen können mit Hilfe von genetischen Tests nachgewiesen werden.

Die Veranlagung zu HNPCC wird von einem Elternteil geerbt, sie ist damit von Geburt an vorhanden und kann schon im jungen Lebensalter zu Darmkrebs oder auch anderen Krebserkrankungen führen. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an Darmkrebs zu erkranken, liegt bei 50-70%. Deshalb sind rechtzeitige Vorsorgeuntersuchungen besonders wichtig.

Krebs auch in anderen Organen

Die vererbten Genveränderungen beim HNPCC/Lynch-Syndrom betreffen alle Körperzellen, nicht nur die Zellen der Darmschleimhaut. Deshalb haben HNPCC-Patienten nicht nur ein erhöhtes Darmkrebsrisiko, sondern auch ein erhöhtes Risiko für andere Krebserkrankungen, beispielsweise Krebs der Gebärmutter oder der Eierstöcke, Magenkrebs oder Dünndarmkrebs, Krebs der Harnwege oder der Bauchspeicheldrüse. Seltener kommt es zu Krebs an der Haut oder im Gehirn.

Familiengeschichte gibt Hinweise

Um einer HNPCC-Erkrankung auf die Spur zu kommen, ist eine Stammbaumanalyse ganz besonders wichtig. Auf diese Weise lässt sich prüfen ob Familienmitglieder Darmkrebs oder andere für HNPCC typische Krebserkrankungen hatten oder haben. Aus der Erfahrung mit solchen Familien hat man Kriterien entwickelt, die es wahrscheinlich machen, dass ein erblicher Darmkrebs, ein HNPCC vorliegt. Man nennt sie Amsterdam-II-Kriterien.

Amsterdam-II-Kriterien:HNPCC gilt als sehr wahrscheinlich, wenn bei der Analyse des Familienstammbaumes alle unten genannten Kriterien zutreffen:

  • mindestens drei Angehörige der Familie haben oder hatten einen mit HNPCC vergesellschafteten Krebs (Dickdarm oder Mastdarm, Gebärmutter, Dünndarm, Nierenbecken oder Harnleiter)
  • einer davon ist Verwandter ersten Grades der beiden anderen
  • mindestens zwei aufeinander folgende Generationen sind oder waren von einer solchen Krebserkrankung betroffen
  • mindestens einer der Erkrankten ist oder war bei Diagnosestellung jünger als 50 Jahre
  • eine Familiäre Adenomatöse Polyposis (FAP) ist ausgeschlossen

Molekulargenetische Tests

Besteht aufgrund der Stammbaumanalyse ein Verdacht auf HNPCC, kann man mit Hilfe von molekulargenetischen Tests die charakteristische Genveränderung nachweisen.  Idealerweise testet man zunächst ein erkranktes Familienmitglied. Ist die Veränderung identifiziert, die zu HNPCC führt, können alle blutsverwandten Familienmitglieder eine genetische Testung in Anspruch nehmen. Das Risiko, die Veranlagung geerbt zu haben beträgt 50% - es sind also nicht zwangsläufig alle Familienmitglieder betroffen. Ist die Genveränderung jedoch nachweisbar, besteht ein hohes Risiko für Darmkrebs.

Diejenigen Personen in der Familie, bei denen die krankheitsverursachende Genveränderung nicht gefunden wird, haben kein erhöhtes Darmkrebsrisiko. Sie sollten dann - wie jeder andere auch - an der allgemeinen Krebsvorsorge für Personen ohne erhöhtes Risiko teilnehmen.

Mit Hilfe der so genannten revidierten Bethesda-Kriterien werden Patienten identifiziert, bei denen ein bereits entdeckter Krebs auf mögliche HNPCC-typischen Genveränderungen untersucht werden sollte. Ergäben sich hierbei Hinweise auf HNPCC, wäre dies ebenso für die Familie des Patienten von großer Bedeutung: Die Familienmitglieder sollten sich dann genetisch beraten und ggf. testen lassen und bei Nachweis der erblichen Veränderung - an einem intensivierten Vorsorgeprogramm für HNPCC teilnehmen.

Revidierte Bethesda-Kriterien: Tumorpatienten, auf die ein oder mehrere der unten genannten Kriterien zutreffen, sollten auf eine HNPCC-typische Genveränderung untersucht werden.

  • Patient, der vor dem Alter von 50 Jahren an Darmkrebs erkrankt ist oder war
  • Patient mit gleichzeitig oder nacheinander aufgetretenem Darmkrebs oder einem anderem HNPCC-Krebs (Gebärmutter, Magen, Eierstock, Bauchspeicheldrüse, Nierenbecken oder Harnwege, Gallenwege, Gehirn, Dünndarm u.a.)
  • Patient, der vor dem Alter von 60 Jahren an Darmkrebs mit dem Merkmal der (so genannten Mikrosatelliteninstabilität) erkrankt ist oder war
  • Patient mit Darmkrebs, bei dem ein Verwandter ersten Grades vor dem Alter von 50 Jahren an Darmkrebs oder einem anderen HNPCC-Krebs (siehe oben) erkrankt ist oder war
  • Patient mit Darmkrebs, bei dem zwei oder mehr Verwandte ersten oder zweiten Grades an Darmkrebs oder einem anderen HNPCC-Krebs erkrankt sind oder waren (jeweils unabhängig vom Alter)

Bei der Identifikation von Familien mit HNPCC verlieren die oben beschriebenen klinischen Kriterien zunehmend an Bedeutung. Denn infolge der neuartigen Behandlungsmöglichkeiten mit Immun-Checkpoint-Hemmern empfehlen immer mehr Experten jeden Darmkrebs-Patienten nach der Diagnosestellung auf Mikrosatelliteninstabilität zu testen. Dieser Test ist im Hinblick auf HNPCC aussagekräftiger als die Amsterdam- und Bethesda-Kriterien.

Spezielle Zentren für familiären Darmkrebs haben sich auf die Diagnose und Früherkennung von HNPCC und anderen Formen von erblichem Darmkrebs spezialisiert.Hier ist der Link zu den Zentren für familiären Darmkrebs, die sich zum Verbundprojekt "Familiärer Darmkrebs" zusammengeschlossen haben.

Vorsorgeprogramm für HNPCC

Für HNPCC-Patienten und deren Familien gibt es ein besonderes Krebsvorsorge- und Früherkennungsprogramm:

  • Ab dem 25. Lebensjahr ist einmal pro Jahr eine Vorsorgeuntersuchung mit körperlicher Untersuchung und einer Darmspiegelung vorgesehen. Trat in der Familie sehr früh Darmkrebs auf, soll die Darmspiegelung bereits früher beginnen - und zwar 5 Jahre vor dem niedrigsten Erkrankungsalter in der Familie.
  • Bei Frauen wird ab 25 Jahren zusätzlich eine jährliche gynäkologische Untersuchung und vaginale Ultraschalluntersuchung durchgeführt, - dies zur Früherkennung von Gebärmutter- und Eierstockkrebs.
  • Ab 35 Jahren erfolgt jedes Jahr eine Magenspiegelung zur Früherkennung von Magenkrebs.
  • Bei Frauen wird ab 35 Jahren zusätzlich einmal pro Jahr eine Gewebeprobe aus der Gebärmutterschleimhaut entnommen und untersucht.
  • Das Vorsorgeprogramm muss lebenslang durchgeführt werden, um dem erhöhten Krebsrisiko in HNPCC-Familien wirkungsvoll zu begegnen. Dies gilt auch dann, wenn bereits einmal Darmkrebs entdeckt und mittels Operation entfernt wurde.
Alter Untersuchung Wie oft?
ab 25 Jahren Körperliche Untersuchung einmal pro Jahr
  Darmspiegelung (Koloskopie) einmal pro Jahr
  bei Frauen: gynäkologische Untersuchung mit vaginalem Ultraschall in Hinblick auf Gebärmutter- oder Eierstockkrebs einmal pro Jahr
Alter Untersuchung Wie oft?
ab 35 Jahren Magenspiegelung (Ösophago-Gastro-Duodenoskopie) einmal pro Jahr
  bei Frauen: Entnahme und Untersuchung einer Gewebeprobe aus der Gebärmutterschleimhaut (Endometriumbiopsie) einmal pro Jahr

Dieser Text entstand mit fachlicher Unterstützung des Krebsinformationsdiensts (KID).
 
Quellen:
Sinicrope FA. Lynch Syndrome-Associated Colorectal Cancer. N Engl J Med. 2018 Aug 23;379(8):764-773. doi: 10.1056/NEJMcp1714533
Snyder C, Hampel H. Hereditary Colorectal Cancer Syndromes. Semin Oncol Nurs. 2019 Feb;35(1):58-78. Epub 2019 Jan 19. doi: 10.1016/j.soncn.2018.12.011.
Stjepanovic N, Moreira L, Carneiro F, Balaguer F, Cervantes A, Balmaña J, Martinelli E. Hereditary gastrointestinal cancers: ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol. 2019 Aug 5. pii: mdz233. doi: 10.1093/annonc/mdz233.
Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom, Version 1.1 – August 2014. AWMF-Registernummer: 021/007OL. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/021-007OL.html